Burghard Müller-Dannhausen
Burghard Müller-Dannhausen
Vieles in Einem
Essay zum Kunst-am-Bau-Projekt für die VR Bank Südpfalz, Landau/Pfalz, 2018
Essay zum Kunst-am-Bau-Projekt
für die VR Bank Südpfalz, Landau/Pfalz, 2018 - Burghard Müller-Dannhausen
created 11.02.2019
Burghard Müller-Dannhausen
Columna
Essay zu einer temporären Installation in der Galerie Abteigasse 1, Amorbach, 2018
created 27.06.2018

„Columna“ (die Säule) ist eine malerische Installation aus drei Ursprüngen.
Ursprung heißt hier zugleich Inspirationsquelle und Bezugspunkt.
Die drei Ursprünge sind:

> der Raum
> der Ort
> der Anlass


Der Raum

Die Galerie Abteigasse 1 in Amorbach besitzt neben weiteren Räumen einen großen Ausstellungsraum, der durch seine ebenerdige Zugänglichkeit das Innen und das Außen in einen Wahrnehmungsbezug setzt. Eine historisch gewachsene Altstadt (außen) und ein künstlerisches Ausstellungsprogramm (innen) lassen sich gegeneinander und ineinander befragen.

Dieser Ausstellungsraum bezieht seine Identität aus dem Prinzip Zentrum–Peripherie oder mit anderen Worten Kern und Mantel. Der Kern ist ein Pfeiler, der durch den Kamin des Hauses gegeben ist. Damit bezeichnet der Kern die Feuerstelle des historischen Gebäudes. Der Mantel besteht in den raumbegrenzenden Wänden, die die Wärme des Raumes einhegen und insofern zurückwerfen, als sie deren Verflüchtigung verhindern. Diese Konstellation gibt dem Raum eine Logik, zumal Kern und Mantel sich formal aufeinander beziehen. Der Kern ist im Grundriss eine Folge von rechten Winkeln (Innen- und Außenwinkeln) und besitzt damit eine Faltung. Der Mantel ist eine Folge von rechtwinklig verbundenen Wänden und besitzt ebenso eine Faltung. Beide Faltungen bilden keine maßstäbliche Entsprechung, sondern eine freie, heterogene Korrespondenz. Daraus gewinnt der Raum sein Leben und seine Energie. Kern und Mantel stehen in einem abwechslungsreichen Dialog, in einem Energieaustausch.

Hier setzt Columna an. Als Wandmalerei haftet sie dem Kern an und strahlt auf den Mantel ab. Sie bringt sich in den Energieaustausch zwischen Zentrum und Peripherie ein und verstärkt ihn. Sie lebt von der Verschränkung der Zentripetal- und der Zentrifugalkräfte. Sie atmet ein. Sie atmet aus. Dem Medium der Malerei zugehörig arbeitet sie mit dem Bildraum, dem imaginären und hier konkret dem illusionistischen Raumbefund. Durch optische Täuschungen aktiviert sie den nach innen gerichteten Tiefenraum ebenso wie den nach außen gestülpten plastischen Raum. Sie relativiert die tektonische Form des Pfeilers, indem sie seine körperliche Masse malerisch auflöst.  Die Bildstruktur besteht aus Schichtungen und betont damit die Vertikale – die Statik des Pfeilers. Die Farbregie hingegen betont die Horizontale – die Ausdehnung der Strahlkräfte. Das Bild deutet einen malerischen Horizont an. Die Schichtungen füllen nicht die gesamte Höhe des Pfeilers, sondern hören unter der Decke auf. Sie thematisieren ein Von-unten-nach-oben. Der Pfeiler wird nicht tapeziert, sondern bespielt.

Columna lebt. Sie agiert nicht nur in den Koordinaten des Räumlichen, sondern auch in denen des Lichtes. Sie steht in einem Raum, der von drei Seiten Tageslicht empfängt. Dieses Tageslicht nimmt sie auf, verarbeitet es malerisch und wirft es als imaginäres Licht wieder zurück. Indem die Malerei dem Licht zugewandt ist, läuft sie nicht als Endlos-Bild um den Pfeiler herum, sondern spart die dem Licht abgewandte Seite des Pfeilers aus. Sie belässt dem Pfeiler eine Rückseite und respektiert das dort befindliche Stuck-Element. Die von drei Seiten eindringende Lichtfülle ist in ihrem Wesen eine epische Wirklichkeitsfülle – verbunden dem Hier und Jetzt. Dieser Alltag und seine Sublimierung im Licht werden in der Malerei poetisch verarbeitet. Vor allem dies bindet Columna an den Raum.


Der Ort

Die Galerie Abteigasse1 befindet sich auf historischem Grund. Das Haus ist etwa 500 Jahre alt und mit seiner Giebelseite der sehr viel älteren Abtei zugewandt. Wer den Ausstellungsraum durch die Außentür verlässt, findet sich der Fassade der Abteikirche gegenüber. Der Pfeiler, der die Installation Columna trägt, steht also an einem besonderen Ort, an einem Ort, der einst von den Benediktinern gewählt wurde. Bei ihren Abteigründungen haben die Benediktiner immer ein besonderes Gespür für den Ort bewiesen. In Amorbach gaben sie im 8. Jahrhundert ihren ursprünglichen Standort am Amorsbrunn auf und bestimmten für die Gründung ihrer Abtei den Ort, an dem mehrere Täler zusammentreffen. Diesem Konzentrationspunkt, dieser Stätte der Kontemplation verdankt die Stadt Amorbach, in späteren Jahrhunderten um die Abtei herum angewachsen, nicht nur ihren Standort, sondern auch ihren bis heute spürbaren Charakter. Im Gegensatz zu Städten am Fluss, bei denen das Transitorische vorherrscht, ist Amorbach ein Topos, der in sich ruht. Das Unverrückbare, aber im Beharren Lebende, wird durch den Pfeiler des Ausstellungsraumes illustriert und durch Columna thematisiert. Columna reflektiert einen Mythos: die mehr als tausendjährige Geschichte der Abtei und die mehr als 200-jährige Geschichte nach deren Ende durch die Säkularisation. Columna steht in der Geschichte.

Die Formensprache der Installation, zwar der konkreten Kunst und damit der Moderne verhaftet, lehnt sich auch an Prinzipien der Romanik an. Die Romanik ist für das Gesicht der Amorbacher Abtei bei aller spätbarocken Bautätigkeit immer noch bestimmend oder zumindest mitbestimmend. Die Romanik scheint als Substrat des Kirchenbaus heute noch durch. Zum Wesen der Romanik gehört, dass die Strenge der Baukörper durch eine reiche Phantasie bei der Gestaltung der Säulen beantwortet wurde. Kein anderer Stil der abendländischen Baugeschichte hat Kapitelle und auch Säulenschäfte so frei von Konventionen und von Regeln, so vielfältig und individuell gestaltet wie die Romanik. Dieser Besonderheit des Romanischen fühlt sich die Gestaltungsabsicht von Columna verpflichtet. Von hier aus lässt sich eine Brücke schlagen zum Amorbacher Spätbarock, indem die geregelte Fülle auch ein Merkmal von Columna ist.

Hinzu kommt ein elegischer Aspekt. Die Struktur des Geschichteten, die auf die Ablagerungen von Geschichte verweist, weckt auch Assoziationen an Bücherstapel. Bücher sind in Amorbach ein schmerzhaftes Thema. Von der einstigen Klosterbibliothek ist heute nur noch ein prunkvoller Innenraum sichtbar. Die Bücher selbst sind verloren. Die Nachbesitzer der Abtei, die Rechtsnachfolger der Benediktiner, haben die Bibliothek verschleudert, indem sie Wagenladungen von Büchern als Einwickelpapier an die Amorbacher Bevölkerung verscherbelt haben. Kultureller Raubbau in groteskem Ausmaß. Dieses traurige Faktum wird in Amorbach gern unter den Teppich gekehrt. Columna möchte ein wenig auch daran erinnern.


Der Anlass

Columna ist als temporäre Installation ein Ausstellungsbeitrag und bildet eine Ergänzung zur Landschaftsmalerei von Jutta Winterheld. Der Ausstellung ging eine monatelange Auseinandersetzung mit der Arbeit Jutta Winterhelds voraus. Zahlreiche Zusammentreffen, gemeinsame Bildbetrachtungen und ergiebige Gespräche führten zu einer starken Inspiration, die in die Installation eingeflossen ist. Columna ist damit eine Antwort auch auf Jutta Winterhelds Malerei.

Der Dialog der Positionen lebt von äußerem Gegensatz und innerer Übereinstimmung. Gegensätzlich ist die Handschrift, auf der einen Seite der freie, gestische Pinselduktus, auf der anderen Seite die geometrische Konstruktion. Dem stehen mehrere Übereinstimmungsmerkmale gegenüber. Zum ersten das poetische Credo, der Bezug auf eine präfigurierte Spiritualität, zum zweiten das Streben nach Suggestion, nach einer Transzendenz des Haptischen, zum dritten die Transkription der Wirklichkeit in imaginäre Werte, zum vierten das Bekenntnis zur Malerei als dem Medium von imaginärem Raum und imaginärem Licht, und schließlich zum fünften das Aufbauen auf dem kunstgeschichtlichen Erbe, das Resümieren einer Kultur des Sehens. Alle diese Übereinstimmungen sind nicht auf den ersten Blick sichtbar, sie sind aber intuitiv erlebbar. Sichtbar ist hingegen die unmittelbare Anlehnung im gewählten Farbklima. Columna ist nahezu in „Winterheld-Farben“ konzipiert. Die beiden Positionen, die sich das Licht des Ausstellungsraumes teilen, sollen sich gegenseitig in ihrer Wirkung steigern. Die eine malerische Äußerung soll den Blick auf die jeweils andere konditionieren.

Eine solche Konfrontation zweier Positionen nimmt das Prinzip von Kern und Mantel auf. Indem der eine Beitrag den Kern besetzt und der andere den Mantel, stehen die Arbeiten nicht nebeneinander, sondern ineinander. Das hat Folgen für das Erlebnis des Betrachters. Das Gegenüber der Faltungen von Kern und Mantel, die Korrespondenz, der Dialog, übertragen sich auf die Positionen, die den Energieaustausch des Raumes übernehmen und weiterführen. So wird der raumimmanente durch den werkimmanenten Austausch bereichert. Anders gesagt: Der Raum leiht den Werken sein energetisches Potential. Der Betrachter steht nicht einem Künstler-Duo, einer Werkkonfrontation gegenüber, sondern er steht innerhalb der Konfrontation. Er steht innerhalb der Energieströme und des Dialoggeschehens. Er nimmt die beiden Werkbeiträge nicht sukzessive sondern simultan wahr. Er sieht – das wäre zu hoffen – die ausgestellte Malerei durch die Konfrontation umfassender und bewusster.

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