Vieles in Einem
Columna
Farbwald – Farbwelt
Der Farbwald
Kontraste
Bildraum
Die Farbwand
Zur Farbwand
Zu dieser Ausstellung
Das Bild-Objekt „Illusion“
Der offene Rahmen
The Walking Horizon
Was ist Bildhaftigkeit?
Über die schweigende Fülle der Malerei
Versuch über bemerkenswerte Eindrücke
Begegnungen
Die Akademie war damals ein ziemlich desolater Haufen. Die einzigen durchsetzungsfähigen Regeln wurden vom Hausmeister bestimmt, Kunst kam von Chaos. Und ich meine dies weder zynisch noch wertend. Es war der Geist der frühen siebziger Jahre an der Städelschule in Frankfurt. Im Spannungsfeld revoltierender und angepaßter Studenten fiel ein Mensch auf, den man eher in der Verwaltung vermutet hätte: unauffällig gekleidet, mit Aktentasche, in der man Vesperbrot und Thermosflasche erwarten konnte, die aber DIN A4-Blätter, Lineal und Plakafarben enthielt. Er setzte sich, nachdem er zirka 30 Minuten im Museum nebenan Kunst betrachtet hatte, an einen kleinen Tisch und begann aus Quadraten entwickelte Farbsysteme auszumalen, begleitet vom oberflächlichen Gedudel eines amerikanischen Radiosenders.
Mehrere Jahre später, die Akademiezeit war überwunden, traf ich Burghard Müller-Dannhausen in einem Geschäft für Künstlerbedarf und wurde Zeuge eines absolut präzisen Pigmenteinkaufs. Besondere Wertschätzung hatten alle die Pigmente für ihn, die ein gutes Deckvermögen aufweisen. Dann folgte eine Bestellung von Keilrahmen bis maximal 180 cm Seitenlänge, Leinwand, Grundierung und Acryl. Das Klebeband, das er brauchte, hatte der Laden nicht.
Im Dezember 1991 besuchte ich ihn zu Hause an seinem Arbeitsplatz. Es wäre ein völlig falsches Bild, wenn ich sagen würde, ich besuchte ihn in seinem Atelier. Ich wurde in einen zirka 9 m2 großen und 210 cm hohen Kellerraum geführt: Kunstlicht, die Wandflächen ausgenutzt mit Regalen für alles mögliche, auch für Keilrahmen, Leinwand und Farben. Die größte Regalfläche war mit Zeitungsseiten zugehängt, lauter auf dem Kopf stehende Stellenanzeigen. Davor hing ein 85 x 80 cm großes Tafelbild. Es war das erste Original, welches ich seit drei Jahren von ihm sah. Ein kleiner Tisch, einige Farbspritzer, zwei Stühle, und der Raum war fast voll. Wir begannen zu sprechen über die Kunst, seine Kunst. Wohl auch über das Leben. Alles geschah sehr konzentriert. Seine Stimme blieb gleichmäßig freundlich und vermittelnd. Das Bild hing lange am Regal. Wir aßen zu Mittag. Nach einem kleinen Verdauungsspaziergang am Main, wieder im Haus angekommen, stiegen wir unters Dach in eine Kammer. Ich konnte kaum aufrecht stehen, saß in einem Sessel in der Ecke und er am Schreibtisch unter einem Dachfenster mit Nordlicht. Hier entstehen seine Bilder. Er erklärte mir die Arbeitsabfolge und Entwicklung. Voller Staunen blickte ich in einen Kasten für 6x6 cm große Dias, voll mit etwa 2500 aufgestrichenen Farbmischungen deckender Töne. Dann ein Häufchen weiße DIN A4-Blätter. Auf ihnen lagen drei bis fünf farbige Muster aus dem Farbarchiv. Die Auswahl dieser Farben entsprachen seiner Bildvorstellung, waren also in ihm schon Bild geworden. Daneben ein Stapel DIN A4-Papiercollagen. Die aus der Farbauswahl nachgemischten Töne wurden auf Papier aufgestrichen, in geometrische Formen geschnitten, und einem bestimmten Raster folgend, an- und übereinandermontiert. Zuletzt einige Kästchen mit unterschiedlich proportionierten farbigen Papiercollagen, nicht größer als Buchabbildungen, aber die Quintessenz seiner Arbeit. Diese Blätter entsprachen in Proportion, Formen und Farben dem Originalbild. Der Eindruck, welchen mir diese kleinen Arbeiten gaben, überstieg das; was ich Bildentwurf nennen würde. Eigentlich sind dies seine Bilder. Wir gingen noch einmal zurück in den Keller; wo er mir abschließend 10 bis 12 Leinwände zeigte. Und es leuchtete mir ein; daß die Vergrößerung und Umsetzung in eine solidere Technik das Bild potenzieller machen.
Bilderlebnis
Formen und Farben organisieren die Bilder. Die Formen von grundlegender Einfachheit ebenso wie die verstiegenen Muster weisen auf zugrundeliegende Systeme hin. Durch Aneinanderreihen, Kippen der Flächen und ihre Überschneidungen bilden sich Rhythmen, aber auch splitternde Strukturen. Der durch die Konstrukte erzeugte Raum ist minimalisiert, scheibchenhaft vor der universalen Räumlichkeit des Weiß, verstärkt durch den Ausschnittcharakter der Bilder. Sie umfangen den Kopf, erregen aber den ganzen Körper; da es keine Mitte zu geben scheint. Das Zentrum ist das ganze Bild. Versuche ich den scharfen Grenzen und Kanten zu folgen, verliere ich mich im Labyrinth der Konstrukte. Hier aber auch stoßen die Farben aneinander, und folge ich diesen, so tauche ich in eine Atmosphäre von Farbklangrhythmen. Ich sehe deckende Farbtöne. Keinerlei transparente Modulation oder malerische Tiefe umfängt mich. Alles ist ganz und gar Fläche. Die Töne sind erstaunlich konkurrenzlos. Sie besitzen eine nahezu wertfreie Gleichgewichtigkeit. Nichts drängt sich auf; kein Ton wird verdrängt. Trotz des Kunststoffcharakters der Acrylfarbe scheint in den Tönen selbst ein inneres Licht zu wohnen.
Indem er konkrete Mittel der Tafelmalerei anwendet; erzeugt Burghard Müller-Dannhausen auf die purste Weise Transzendenz als eine Erfahrung; welche er Poesie nennt.
„Farbkonstrukte 1974–1990“